Rechtsanwältin Retzlaff

Wohnen nach der Fristenuhr – Märchenhafte Fristen im Mietrecht

Tanja studiert Biologie und Robert Jura, gemeinsam leben sie jetzt in ihrer Wohnung. Im Dezember 2003 schickt Vermieter Girr die erste Betriebskostenabrechnung zu: eine Nachzahlung von fast 200 Euro, die jedoch schnell vergessen wird. Während durchs Studium die Köpfe rauchen, gibt es undichte Fenster, tropfende Wasserhähne und eine oft kalte Heizung. Über ein Jahr später erinnert ihr Vermieter an die fällige Forderung aus 2002. Mit Erschrecken stellt Robert fest, dass gemäß § 556 Abs. 3 Satz 5 BGB zwölf Monate nach Zugang der Abrechnung keine Einwendungen mehr geltend zu machen sind. Die 200 Euro sind zu bezahlen.

Am Silvesterabend listen Tanja und Robert alle Mängel ihrer Wohnung auf, die sie schon seit Monaten ärgerten, und machen gegenüber Vermieter Girr eine Mietminderung gem. § 536 Abs. 1 BGB geltend. Herr Girr beseitigt die Mängel umgehend, widerspricht jedoch der Mietkürzung. Und er hat Recht, denn die Mängel waren nicht unverzüglich angezeigt worden. Die Mieter hatten dem Vermieter somit die Möglichkeit der Beseitigung genommen, daher durften sie gem. § 536c Abs. 1 BGB auch keine Minderung vornehmen.

Herr Girr kündigt im Februar 2006 pauschal den Beginn umfassender Modernisierungsarbeiten für April 2006 an. Einen Hinweis auf eine zu erwartende Mieterhöhung enthält das Schreiben nicht. Da der für eine Modernisierungsankündigung vorgeschriebene Ankündigungszeitraum von drei Monaten (§ 554 Abs. 3 S. 1 BGB) nicht eingehalten wurde und die avisierten Maßnahmen unzureichend beschrieben waren, hätte Tanja die Maßnahmen gar nicht dulden brauchen. Aber Tanja und Robert freuen sich, dass das Bad renoviert wird.

Nachdem die Arbeiten jedoch im Herbst 2006 abgeschlossen sind, flattert ihnen im November 2006 eine deftige Mieterhöhung mit Wirkung zum Februar 2007 ins Haus. Robert meint, sie sollen nach § 561 BGB von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen, aber Tanja will in der Wohnung bleiben, die so günstig zur Uni liegt. Ein Kniff findet sich doch: Robert entdeckt § 559b Abs. 2 S. 2 BGB, so dass sie erst sechs Monate später – also zum August 2007 – die neue, erhöhte Miete zahlen müssen.

Jetzt war Herr Girr verärgert und schickte deshalb im März 2008 eine Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete gem. § 588 BGB zu. Aber Robert holt wieder sein BGB hervor und hilft: Zwar ist für die 15-monatige Wartefrist zwischen zwei Mieterhöhungen eine Anhebung der Miete auf Grund von Modernisierungsarbeiten unbeachtlich, aber Herr Girr hat sowohl die 20-prozentige Kappungsgrenze innerhalb von drei Jahren nicht beachtet, als auch eine fehlerhafte Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete vorgenommen. Somit konnten beide diese Mieterhöhung abwenden und hatten endlich wieder Zeit für ihr Studium.

Eines Tage steilte Hauseigentümer Girr mit, dass die Wohnungen als Eigentumswohnungen umgewandelt und veräußert wurden. Herr Wichtig ist der neue Eigentümer der Wohnung und somit Vermieter. Er benötigt die Wohnung für seine Tochter, die vor Ort studieren will und kündigt daher wegen Eigenbedarf. Zwar ist Robert noch nicht Rechtsanwalt, aber er kennt § 577a Abs. 1 BGB, wonach bei Umwandlung in Wohnungseigentum Eigenbedarf erst nach drei Jahren geltend gemacht werden darf. Somit können Tanja und Robert in der Wohnung wohnen bleiben.

Aber schon zwei Jahre später kursieren im Hausflur Gerüchte Herr Wichtig sei hoch verschuldet. Daher waren Tanja und Robert nicht überrascht, als sie Mitte 2010 die Mitteilung erhielten, Frau Zaster habe die Wohnung im Wege einer Zwangsversteigerung gekauft. Überraschend flatterte ihnen die Kündigung von Frau Zaster ins Haus, die sich auf ihr Sonderkündigungsrecht gem. § 57a ZVG berief, Eigenbedarf geltend machte und mit einer Frist von drei Monaten die Kündigung erklärte. Zum Glück hatte Robert schon sein erstes Staatsexamen abgeschlossen und zauberte § 573c Abs. 1 S. 2 BGB hervor: Für Tanja, die seit mehr als acht Jahren in der Wohnung wohnte, galt nämlich die verlängerte Kündigungsfrist von drei mal drei Monaten = neun Monaten. Somit blieben den jungen Eltern Tanja und Robert wenigstens ein paar Monate mehr Zeit, sich eine neue Wohnung mit Kinderzimmer zu suchen.

Der Umzug passierte schon fast Hals über Kopf und Robert war durch sein zweites Staatsexamen abgelenkt. Also räumte Tanja die Wohnung alleine aus und ließ die Wohnung von einem Maler renovieren. Eigentlich hätte Tanja auf Grund einer unwirksamen Schönheitsreparaturklausel gar nichts machen müssen. Als Robert seine Zulassung in Händen hält, stellte er sieben Monate später die Unwirksamkeit der Schönheitsreparaturklausel fest, aber zu diesem Zeitpunkt war der Rückforderungsanspruch gem. § 548 Abs. 2 BGB schon verjährt. Innerhalb von sechs Monaten hätten sie ihr Geld zurückfordern können. Nun hatte die junge Familie zwar kein Geld, aber waren mit ihrem Kind in ihrer neuen Wohnung glücklich.

RAin Michaela Retzlaff in: AdVoice, Heft 03/11, September 2011


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